Battery-Mythbusters No.2: Brauchen AGM-Akkus eine deutlich höhere Ladespannung, weil sie sonst nicht voll werden?



  • Man liest es immer wieder und inzwischen auch immer öfter:

    Zitat

    AGM-Akkus brauchen eine höhere Ladespannung! Sogar viele Ladegeräte besitzen inzwischen eine Umschaltung für "AGM", bei der die Ladespannung erhöht ist.


    Frage: Machen also alle, die AGM-Akkus mit normaler Ladespannung laden etwas falsch?


    Überlegung: Das Bleisystem (positive Elektrode: Bleidioxid, negative Elektrode: Blei, gemeinsames Entladeprodukt: Bleisulfat, Elektrolyt: verdünnte Schwefelsäure) weist bestimmte Spannungsschwellen für Ladung und Entladung auf. Diese sind in erster Linie abhängig von den verwendeten Bleilegierungen, der Elektrolytkonzentration und der Temperatur. Daran ist nichts geheimnisvolles, denn die Bleiakkutechnik ist inzwischen schon 160 Jahre alt. Die zugrunde liegenden Prinzipien sind bekannt und so ändert sich am Grundprinzip des Bleiakkus seit Jahrzehnten schon nichts mehr. Man könnte sagen, das System ist ziemlich durchoptimiert. Dennoch gab es in den letzten Jahrzehnten einige Ideen, die zu neuartigen Bleiakkus geführt haben. So z.B. die Rundzellentechnologie, die Gel- und die AGM-Akku-Technologie. "Technologie" ist dabei aber ein ziemlich hochtrabendes Wort, denn so besonders viel brauchte es nicht, um diese Technologien zu entwickeln. Man musste einfach nur darauf kommen und etwas experimentieren.


    Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen, kann man feststellen, dass bei Bleiakkus mit flüssigem Elektrolyten die verdünnte Schwefelsäure in physikalisch flüssigem Zustand um die Bleiplatten schwappt. Dieses Prinzip wird bei fast allen Starterbatterien noch heute mit Erfolg verwendet. Es ist aber bei vielen Anwendungen von Vorteil, wenn der Elektrolyt nicht flüssig, sondern fest ist und nicht aus der Batterie auslaufen kann. So hat man zunächst durch Zugabe von Kieselgur zum Elektrolyten eine Paste erzeugt, welche zwischen den Bleiplatten haften bleibt und nicht mehr flüssig ist. Die Funktion des Akkus wird dadurch aber kaum beeinträchtigt, sodass diese Technik die vielen kleinen und lageunabhängig zu betreibenden Gel-Akkus erst möglich gemacht hat.


    Später ist man dazu übergegangen, den ursprünglich flüssigen Elektrolyten in fein gewobenem Glasvlies (AGM = absorbed-glas-mat) zu speichern. Das Prinzip ist das der "nassen Hose": Ein textiles Vlies ist in der Lage in Verbindung mit Flüssigkeiten Adhäsionskräfte aufzubauen, durch welche diese Flüssigkeiten aufgesogen und somit örtlich festgehalten werden. Die Flüssigkeit ist also noch vorhanden, aber sie läuft nicht mehr aus dem Vlies heraus. Genau dieses Prinzip wird bei AGM-Akkus angewandt. (Nochmal zum Prinzip "nasse Hose": Man nimmt bei Bleiakkus nur deshalb keine Baumwolle dafür, weil die im Gegensatz zu Glasvlies durch Schwefelsäure schnell zersetzt würde...)


    Durch die geänderte Art der Elektrolytbindung (Flüssig/Gel/AGM) ändern sich allerdings die oben erwähnten Spannungsschwellen des Bleisystems in keiner Weise, so dass die Ansprüche an die Ladespannung bei Bleiakkus mit flüssigem Elektrolyten, mit in Gel gebundenem Elektrolyten und mit im Glasvlies gebundenem Elektrolyten letztlich identisch sind.


    Frage: Nanu? Aber warum behaupten so viele Internetforen und sogar Ladegerätehersteller etwas anderes?


    Antwort: Gute Frage! Ich vermute, das hat rein markttechnische Gründe: AGM-Akkus werden u.a. gern für sogenannte zyklische Anwendungen verwendet. Das sind Anwendungen, bei denen die Akkus erst geladen, dann weitgehend entladen und dann wieder geladen werden (cyclic). Die bei zyklischer Verwendung auf die Bleiplatten wirkende mechanische Belastung ist dabei erheblich, weil das Entladeprodukt Bleisulfat mehr Volumen benötigt als die Ursprungsmaterialien Blei und Bleidioxid. Dadurch "pumpen" die metallischen Platten unter zyklischer Verwendung, was für das gesamte System großen Stress bedeutet. Weil AGM-Akkus durch die Vlieszwischenlagen die Platten quasi zusammenpressen, widerstehen diese diesem Stress aber im Vergleich mit anderen Bleisystemen besonders gut. Sie sind also besonders gut für zyklische Anwendungen geeignet.

    Allerdings gelten bei zyklischen Anwendungen andere Ladespannungsvorschriften als bei normalem, oder gar bei Stand-By-Betrieb:
    Normalerweise wird für Bleiakkus bei 15°C eine Ladespannung von 2,3 bis 2,35V/Zelle (13,8 bis 14,1V beim 12V-Akku) empfohlen. Bei zyklischem Nutzungsschema steigt dagegen der Bedarf an Ladespannung stark an, um die sonst unvermeidliche Sulfatierung zu verhindern, weshalb man bei zyklischer Nutzung mit etwa 2,45V/Zelle (14,7V beim 12V-Akku) lädt. Betreibt man Bleiakkus dagegen im Stand-By-Betrieb (z.B. bei unterbrechungsfreien Stromversorgungen - USV), sind deutlich niedrigere Ladespannung angeraten, um übermäßige Gitterkorrosion zu vermeiden: 2,25V/Zelle (13,5V beim 12V-Akku).


    Diese Werte sind Erfahrungswerte aus jahrzehntelangem Betrieb. Letztlich sind die Spannungsschwellen aber stets nur ein Kompromiss zwischen der gewünschten Wirkung (möglichst schnelle und vollständige Aufladung) und der Vermeidnung unerwünschter Nebenwirkungen (Sulfatierung bei zyklischem Betrieb, bzw. Gitterkorrosion bei StandBy-Betrieb). Da zyklische Anwendungen die Sulfatierung stark begünstigen, fährt man hier also im Allgemeinen deutlich höhere Ladespannungen, um der unerwünschten Sulfatierung entgegen zu wirken. Und da die lange Einwirkungszeit der Ladespannung bei Dauerladungen beim Stand-By-Betrieb die Gitterkorrosion stark begünstigt, senkt man hier die Ladespannung ab, um eben diese Gitterkorrosion so gering wie möglich zu halten. 8o :!:


    So handelt es sich vermutlich nur um ein weit verbreitetes Missverständnis:


    Nicht die AGM-Technologie selbst benötigt höhere Ladespannungen, sondern nur deren überwiegend zyklische Anwendung!


    Da dieselben AGM-Akkus aber auch in USVs (natürlich bei deutlich verminderter Ladespannung!) verwendet werden, kann also überhaupt keine Rede davon sein, dass AGM-Akkus stets eine höhere Ladespannung benötigen würden.


    Fazit: Nicht die Elektrolyt-Technologie (flüssig/Gel/AGM) schreibt die Laderspannung vor, sondern das Nutzungsschema (cyclic/normal/stand-by)!




    Edit 06.12.2014: Heute liegt mir doch tatsächlich ein Bleiakku-Ladegerät vor, welches gleich VIER Umschaltmöglichkeiten für "GEL, AGM, Nass und Calcium-Akkus" bietet! Ich schätze mal, die nächste Serie des Herstellers bringt auch noch Umschaltmöglichkeiten für rote, grüne und gelbe Akkus mit. Yippiii... :whistling: Eine Umschaltung des Nutzungsschemas (standby/cyclic) hat dagegen noch keiner im Angebot. :| Wieso eigentlich nicht? Halten die alle ihre Kunden für zu dämlich, um den technischen Hintergrund zu verstehen?

  • Hallo Tom, ich antworte mal auf den "alten Schinken" hier:


    Soweit nahezu alles korrekt beschrieben.

    Die AGM-Batterie benötigt keine höhere, sondern eine niedrigere Ladespannung. Die Ladegerätehersteller vergleichen hier Äpfel mit Birnen. Spätestens seit 2010 ist die Blei-Calcium-Batterie Standard bei den Starterbatterien. Sie benötigt ca. 1 V höhere Ladespannung gegenüber der früheren Blei-Antimon-Batterie. Die 14,4 V beziehen sich auf die alte Antimonbatterie. Tatsächlich müßte die wartungsfreie Ladespannung 15,4 V betragen. Da die AGM auch eine Calcium ist, wird sie mit weniger Ladespannung betrieben, aus Sicherheitsgründen.


    Rainer

  • Hallo Rainer, da muß ich Dir beipflichten!


    Ich würde es sogar noch vorsichtiger formulieren: Die Calzuium Technologie braucht nicht, sondern erlaubt höhere Ladespannungen und in vielen Fällen ist es auch sinnvoll, davon Gebrauch zu machen.


    es sind nicht die Spannungen der Erhaltungsladung und der Vor- und Hauptladung, die sich hier geändert haben sondern vor Allem die maximale Ladeendspannung, die erst gegen Ende der eigentlichen Volladung je nach Situation mehr oder weniger lange für Wartungs-, Konditionierungs- und Rekonditionierungsladungen aufgebracht werden kann, ohne eine zu starke Gasung mit all ihren negativen Folgen zu bewirken.


    Und - völlig richtig: das kann man nur mit Naßzellenbatterien bis auf 16 V, 17 V oder gar 17,5 V über Stunden so tun - Zellen mit festgelegtem Elektolyten

    müssen trotz Calzium unter 2,45 V geladen werden. Die 12 V AGMs also bis 14,8 V - dabei nehmen sie aber den Strom so willig an, daß das in der Regel auch reicht. Dennoch sind sie für eine entsprechend vorsichtige und dafür längere und öftere Ladung oft noch dankbarer, weil die Lichtmaschinen ihnen nicht viel gönnen, sie aber immer viel leisten sollen. Ein Ladegerät das im AGM-Modus über Stunden mehr als 14.8 V rausgibt sollte man also hier nicht einsetzen.


    Gruß Seb

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