Mit schöner Regelmäßigkeit kontaktieren mich Kunden, die meinen wahlweise, dass entweder ihr BMS, oder ihre Akkuzellen defekt seien: Das BMS schaltet beim Laden immer in schneller Folge aus und wieder ein und das sei doch sicher nicht in Ordnung so. Dann bitte ich meist um ihre BMS-Konfigurationsdaten und stelle dann regelmäßig fest, dass die oberen Abschaltschwellen für Zellen- und Gesamtspannung so niedrig gelegt wurden, dass schon kleine Ladeströme im unteren SOC-Bereich ausreichen, die Spannung in Bereiche zu heben, die dann seitens des BMS pflichtgemäß zur Abschaltung des Ladestroms führt. Der Sinn dahinter ist der, die Zellen nicht bis 100% aufzuladen, sondern vielleicht nur bis auf 80%, um damit dann eine längere Lebensdauer der Zellen zu erreichen. Das ist so einer der typischen Fälle, wo der Versuch einer Lebensdauerverlängerung durch Begrenzung der Zyklisierung als erstes mal zu unerwarteten Fehlfunktionen der Batterie und zweitens in der Folge zu völlig sinnlosem Support- oder Reklamationsaufwand beim Händler oder Einbauer führt.
Deutlich wesentlicher für die Lebensdauer der teuren LiFePO4-Batterien als solcherart missglückte BMS-Konfigurationsideen erscheint mir aber folgendes:
Mich erreichten in letzter Zeit schon mehrfach ungewöhnliche Anfragen von Kunden und zwar ging es um LiFePO4-Batterien, zum Teil um Batterie-Bausätze mit Daly-BMS, teilweise aber auch Fertigbatterien verschiedener Hersteller. Immer ging es darum, dass die Kunden sich so etwa ein Jahr lang nicht um die Batterie gekümmert haben und dann nach Anlegen von Ladestrom keine Aufladung mehr erfolgt. Wenn das passiert, klingelt bei mir natürlich das Telefon und ich habe ratlose Kunden dran: Sie hätten die Batterie entweder vor der Einlagerung überprüft oder aufgeladen, oder während der Lagerung immer wieder mal nachgeladen und nun plötzlich geht gar nichts mehr und die Batterie lässt sich auch nicht mehr aufladen.
Wenn ich die Batterien dann untersuche, stellt sich in der Tat meistens heraus, dass sie mindestens so weit entladen sind, dass das BMS den Entladestrom abgeschaltet hat. Das ist zunächst mal ungefährlich und auch nicht schädlich für die Batterie.
Es ist aber auch schon vorgekommen, dass nur noch Zellenspannungen von deutlich unter 2V oder gar 1,5V zu messen waren. Das nennt sich dann Tiefentladung und ist bei allen Zellen die auf Lithium-Basis arbeiten (Lithium-Ionen, Lithium-Polymer, LiFePO4, NMC usw...) potentiell tödlich! Wenn es sich um prismatische Zellen handelt, werden diese dabei auch meist grotesk aufgebläht und sprengen nicht selten das Batteriegehäuse. Solche Zellen sind definitiv schrottreif!
In den meisten Fällen ergab die Rekonstruktion des Vorgefallenen folgendes:
Die mehr oder weniger geladene LiFePO4-Batterie wird normal aktiviert und angeschlossen im Wohnmobil zurückgelassen und entlädt sich dann langsam aber sicher durch die fast immer vorhandenen Ruheströme der Wohnmobilinstallation. Irgendwann ist die erste Akkuzelle an ihrer Entladeschlussspannung angekommen und das BMS unterbricht dann die weitere Entladung. Soweit können die Kunden das in der Regel auch noch nachvollziehen, wenngleich die meisten steif und fest behaupten, ihr Wohnmobil würde keinen Ruhestrom verbrauchen, denn es sei ja alles aus. Misst man aber mal genau nach, kommt man durchaus auf Dauerentladeströme bis zu 250mA, meisten aber so um 50mA. Die Stromverbraucher können ganz verschiedene Baugruppen sein, die man zunächst als schleichende Stromverbraucher gar nicht auf dem Schirm hat: Ladegeräte, Ladebooster, Elektroblöcke, Anzeigeeinheiten, Wechselrichter o.ä. Jedes davon verbraucht ein klein wenig Strom und in der Addition kommt es dann schnell zu den genannten Werten. Die Folge ist wie gesagt, dass das BMS der LiFePO4-Batterie die weitere Entladung sperrt und die Batterie abschaltet. Im Grunde ist diese Dauerentladung auch gar nicht das Problem, da das BMS der Lithium-Versorgungsbatterien die Entladung ja bei drohender Tiefentladung abschaltet. Es kann also kein weiterer Entladestrom durch äußere Verbraucher mehr entnommen werden.
Problematisch sind hier eher drei andere Punkte:
- Die Selbstentladung von Akkuzellen: Da die Zellen im nahen Leerzustand kaum noch Restenergie enthalten, sollten sie in diesem Zustand nicht länger als höchstens ein paar Wochen verbleiben, da die Selbstentladerate von Akkuzellen im entleerten Zustand natürlich nicht auf Null zurückgeht, sondern mehr oder weniger normal weiterläuft.
- Der Strombedarf des BMS: Auch das BMS selbst benötigt weiterhin Strom, auch wenn es in einen Ruhemodus schaltet. Es entnimmt der Batterie weiterhin Strom.
- Der Strombedarf des Equalizers: Dasselbe gilt für eventuell vorhandene Equalizer, welche immer direkt an dem Akkuzellen angeschlossen werden. Hierbei ist das BMS natürlich nicht in der Lage, deren Entladestrom abzuschalten, da das BMS ja erst "hinter" dem Equalizer geschaltet ist. Deshalb besitzen Equalizer üblicherweise auch eine eigene automatische Abschaltung, wenn ein bestimmter Zellenspannungswert unterschritten wurde. Aber auch hier gilt: Zwar vermindert sich der Strombedarf von Equalizern bei einer solchen automatischen Abschaltung erheblich, aber er geht ebenfalls nicht auf Null zurück. Ein gewisser Restentladestrom muss aus technischen Gründen immer fließen.
Das bedeutet, dass die Entladung auch einer abgeschalteten LiFePO4-Batterie lustig weitergeht, wenn auch langsamer, als durch die abgeschaltete äußere Entladung. Da sich im Zustand der Abschaltung aber kaum noch Energie in den Zellen befindet, kann es dennoch relativ schnell gehen, bis Tiefentladung einsetzt: Ein paar Wochen bis Monate reichen hierfür je nach Selbstentladerate der Zellen, Strombedarf des BMS und des Equalizers locker aus.
Es kommt aber noch schlimmer:
- Wird eine Lithium-Batterie mit BMS, das auch eine Ladezustandsanzeige enthält, längere Zeit sich selbst überlassen, zeigt die Ladezustandsanzeige typischerweise einen unzutreffenden und viel zu hohen Wert an. Der Anwender kümmert sich dann meistens nicht mehr weiter um die tatsächliche Aussagekraft des SOC und geht - fahrlässig - davon aus, dass die Batterie gut geladen und dementsprechend zunächst vor Tiefentladung geschützt ist. Was leider oft nicht zutrifft und vom Anwender auch schnell erkannt werden könnte, wenn er nebenbei mal einen Blick auf die Batterie- oder Zellenspannungen wirft:
Wenn die Zellenspannungen sich im Bereich bis 3,2V bewegen und die der Gesamtbatterie deutlich unter 13V liegt, ist ein Ladezustand von 90% oder mehr definitiv unplausibel!
- Wenn man bei einer Lithium-Batterie, welche so weit entladen ist, dass das BMS die Entladestromrichtung abgeschaltet hat, ein Netzladegerät anschließt, passiert in der Regel: Nichts.
Warum ist das so?
Netzladegeräte müssen in der richtigen Polarität an Batterien angeschlossen werden (Plus an Plus, Minus an Minus), sonst brennen sie wegen Falschpolung durch! Um das zu verhindern, besitzen Netzladegeräte üblicherweise einen so genannten Verpolungsschutz. Das ist eine kleine im Ladegerät enthaltene Zusatztelektronik, die vor dem Einschalten des Ladestroms erst einmal schaut, ob sie die Spannung der angeschlossenen Batterie in der richtigen Anordnung messen kann (Plus an Plus, Minus an Minus). Misst sie eine Spannung oberhalb von 9V in der richtigen Polarität, wird der Ladestrom aktiviert und die Batterie wird geladen. Misst sie die Spannung der Batterie in der falschen Polarität, bleibt der Ladestrom aus.
Wenn das BMS einer LiFePO4-Batterie aber die Entladestromrichtung abgeschaltet hat, um eine weitere Entladung zu verhindern, misst der Verpolungsschutz eines Ladegerätes üblicherweise gar nichts, oder zumindest eine zu geringe Spannung, so dass der Verpolungsschutz des Ladegerätes nicht überwunden wird und die Ladung entsprechend auch nicht gestartet wird. Die meisten Ladegeräte zeigen dies aber nicht unmissverständlich an, sondern fabulieren nur irgendwas von "Batterie voll", was bei vielen Ladern einfach die (unsinnige) Grundaussage ist, wenn kein Ladestrom fließt. Wenn der Kunde Glück hat, bemerkt er diesen Haken mit dem Ladegerät. Wenn er Pech hat oder keine Lust hat dem Ganzen nachzukriechen, merkt er es nicht und geht fälschlicherweise davon aus, dass die Batterie normal geladen wurde.
Wenn das passiert, schwebt die Lithium-Batterie spätestens in ernster Lebensgefahr, weil möglicherweise wegen eines überraschend geringen Ladezustands bei weiterer Lagerung nun unmittelbar eine tödliche Tiefentladung droht!
Und das ist auch der Grund, weshalb man sich, zumindest bei LiFePO4-Batterien in Wohnmobilen, m.E. viel weniger Gedanken über esoterische Lebensdauerverlängerungen durch deutlich eingeschränkte Zyklentiefe machen und sich mehr um die effektive Verhinderung von potentiell tödlichen Tiefentladungen kümmern sollte.
Man sieht:
Es gibt wirklich ganz üble Fallen, durch die Lithium-Batterien überraschend schnell defekt werden können und die im täglichen Leben viel häufiger vorkommen, als das Erreichen des 5000sten Lade/Entladezyklus. Deshalb muss man darauf auch ganz besonders achten, andernfalls überleben die Zellen nicht mal die ersten 20 Zyklen! Und das wäre ja tragisch...
Grüße, Tom
EDIT: Hier noch ein Video, welches sich mit der Tiefentladung von Lithium-Ionen-Zellen beschäftigt: