BMS zeigt "voll" und lädt gleichzeitig mit 14,7 A

  • Nachdem wir gestern die Batterie und den Solarregler angeschlossen hatten, war alles soweit klar, Kapazität bei etwa 50% und selbst die niederländische Abendsonne hat noch ein paar Amperechen zustandegebracht. Heute haben wir den Ladewandler angeschlossen und per LiMa ebenfalls in die LFP laden können. Nach dem Anschließen des Wandlers hat die App zunächst nur "Aktiv Zellenbalance" gezeigt. Nach einem Neustart der App werden alle Werte vernünftig angezeigt, aber die Kapazität mit 100% bzw. 302 Ah dargestellt (siehe Foto). Ich schätze, dass wir etwa bei 160 Ah liegen dürften.


    Was machen wir falsch bzw. wie kann man das "kalibrieren"? Die vorhandene Rest-Ladung ist ja im Offgrid-Betrieb ein entscheidender Wert.


    Gruß Otto

  • Hallo Otto,


    diese Fragen nach der Ladezustandsanzeige sind die Standardfragen schlechthin bei Lithium-Batterien. Leider ist der Sachverhalt etwas kompliziert, so dass ich jedes Mal ziemlich ausholen muss.


    Das Grundproblem ist, dass man den Ladezustand bei LFP-Akkus nicht ohne weiteres durch einfache Messung der Akkuspannung herleiten kann. Es gibt also keine Möglichkeit eine kurze Messung durchzuführen und dann zu wissen, wie viel oder wenig elektrische Energie noch ein den LFP-Zellen enthalten ist. Der Grund ist, dass sich die Akkuspannung über einen weiten Bereich nur so wenig verändert, dass die Veränderungen zu klein sind, um allein aus ihnen den Ladezustand herauszulesen. Hier zur Illustration der Ladezustands/Spannungs-Diagramm einer LFP-Zelle:

    Man sieht: Zwischen 10 und 95% Ladezustand (SoC, State of Charge) tut sich nicht viel...


    Statt dessen versucht das BMS durch Messung des jeweils entnommenen bzw. eingeladenen Stroms und dessen zeitlichen Verlaufs die Zunahme und Abnahme des Ladezustands durch Saldierung zu ermitteln. Das ist zwar technisch nicht ganz einfach, aber in Verbindung mit der Kenntnis der Batteriekapazität ist es auf diese Weise möglich, den jeweiligen Ladezustand zu errechnen.


    Bei BMS gibt es zudem das Problem, dass die integrierte Strom-Messeinrichtung auch Kurzschlussströme messen können muss, die im Bereich von rund 5.000A liegen. Das hat die Folge, dass die Auflösung dieser Messeinrichtung im Bereich kleiner Ströme schnell seine Grenzen erreicht: Ströme unter 1A sind vom BMS kaum noch ausreichend zu erfassen. Als Vergleich bringe ich immer gern das Weitwinkelobjektiv einer Kamera ins Spiel: Mit einem solchen Objektiv ist es schwierig, in 10m Entfernung noch eine Zeitung zu lesen, weil man nur noch vereinzelte Pixel sieht, aber keine Buchstaben mehr. Genauso geht es einem BMS. Was mit der saldierenden Strommessung geschieht, wenn kleine Ströme unterhalb der Messauflösung über längere Zeiträume fließen, kann man sich leicht vorstellen: Das Messergebnis wird immer mehr verfälscht, je länger Ströme unterhalb der Messauflösung fließen, die das BMS dann ja gar nicht mehr erkennen kann.


    Batteriecomputer können das besser, obwohl sie den fließenden Strom technisch in der genau gleichen Weise messen. Sie haben aber den Vorteil, keine Kurzschlussströme von 5.000A messen zu müssen, wie es bei BMS erforderlich ist. Entsprechend werden die Strom-Messeinrichtungen von Batterie-Computern deutlich feiner ausgelegt und messen daher oft bis hinunter in den Milliampere-Bereich. Damit ist das Messergebnis des Ladezustands über die Zeit natürlich entsprechend genauer als bei Ladezustandsanzeigen von BMS.


    In Deinem Fall kommt noch die Grundeinstellung des BMS hinzu: Wenn ein (Daly-)BMS neu an eine Batterie angeschlossen wird, werden unabhängig vom Ladezustand der Batterie immer 50% SoC angezeigt, denn genau das ist die Vorgabe aus der Konfiguration. Man kann auch 20% einstellen oder 80%, das bleibt dem Anwender überlassen. Aber da die Ladezustandsanzeige eben keine "Messung" ist, wie die von Strom oder Spannung, sondern das Ergebnis einer Berechnung zuvor durchgeführter Saldierungen, kann es nicht anders sein.


    Es gibt übrigens Kalibrierungspunkte, an denen die Ladezustandsanzeige sofort auf 100% oder auch auf 0% gesetzt wird. Das passiert immer dann, wenn beim Laden die erste Zelle die maximal zulässige Ladespannung erreicht. Dann geht das BMS von einer vollen Batterie aus und die Anzeige des SoC springt schlagartig auf 100%. Umgekehrt, wenn die erste Zelle die tiefste zulässige Entladespannung erreicht hat, wird die SoC-Anzeige sofort auf 0% gesetzt, weil das BMS davon ausgeht, dass die Batterie nun den Entladeschluss erreicht hat.


    Hat man das erst verstanden, hat man das Wesen der Ladezustandsanzeige einer Lithium-Batterie verstanden.


    Bei Dir wird also folgendes passiert sein: Beim erstmaligen Laden hat die Ladezustandsanzeige mit einem 50%igen Ladezustand zu saldieren begonnen, obwohl die Batterie noch einen deutlich geringeren Ladezustand als 50% aufwies. Irgendwann kam dann die Saldierung zu dem Schluss, das nun die anderen 50% eingeladen wurden, die an 100% Kapazität fehlten und hat auf 100% geschaltet. In Wirklkichkeit waren aber vielleicht erst 80 oder 90% der Kapazität eingeladen, so dass noch weiter Ladestrom floss. Erst bei Erreichen des Ladeschlusses der ersten Zellen, also wenn diese Zelle 3,65V erreicht, beendet das BMS die Ladung. Die Ladezustandsanzeige bleibt bis zu diesem Zustand natürlich bei 100%, denn es würde ja keinen Sinn ergeben, wenn sie mehr als 100% anzeigen würde.


    Grüße, Tom

  • Danke Tom!

    Wenn es einem so gut erklärt wird, versteht es auch ein Neuling.


    Wenn ich das recht verstehe, hat auch der Batterie-Computer nur eine Chance, einigermaßen vernünftige Werte zu zeigen, wenn er bei wohldefiniertem "Vollstand" zu rechnen beginnt. Und natürlich muss er alle möglichen Quellen (bei mir: Solar, LiMa, evtl. Landstrom) und alle Verbraucher (bei mir: Wechselrichter und "Bordnetz") erfassen.


    Das heißt wieder Kohle ausgeben und ein Büschel neuer Kabel verlegen.


    Alles klar soweit!

  • Ein Batteriecomputer wird in die Minusleitung der Batterie eingefügt und verursachte deshalb keinen besonderen Verdrahtungsaufwand.


    Man gibt ihm die Batteriekapazität ein und lädt dann die Batterie randvoll. Dann setzt er seinen SoC ganz von selbst auf 100%. Mehr muss man nicht machen.


    Klar: Ein Batteriecomputer muss natürlich zusätzlich bezahlt werden. Diese Geräte sind heute aber schon sehr erschwinglich geworden, so dass sich die Gesamtausgabe in überschaubaren Grenzen hält. Wer Wert auf eine möglichst genaue Angabe des Ladezustandes legt und zugleich unter für die Ladezustandsanzeige des BMS erschwerten Betriebsbedingungen leidet (Solaranlage mit zuweilen kleinen Strömen), stellt schon bald den großen Nutzen dieser eher kleinen Ausgabe fest. :love:


    Grüße, Tom

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