Kaltladungsversuche an einer prismatischen 80Ah-LiFePO4-Zelle

  • Eines stellte ich bei längerer Betrachtung des Themas Kaltladung von LiFePO4-Zellen nach einer Weile fest: Zwar weiß fast jeder, dass Kaltladung von LiFePO4-Zellen nicht gut für deren Funktion und Lebensdauer ist und in der Folge dieses Wissens stellen viele Leute alles Mögliche an, um einer eventuellen Lebensdauerverkürzung ihrer LiFePO4-Batterien entgegen zu wirken. Aber keiner weiß wirklich Genaueres. Auch ich hatte nur das bekannte Temperatur/C-Raten-Diagramm von CATL als Wegweiser zur Hand, sowie das Video von EL-Cell, wo Ablauf und Folgen von Kaltladung und sogenanntem Lithium-Plating (Lithium-Ablagerungen an der negativen Graphit-Elektrode) bei hohem Ladestrom optisch gut erkennbar gezeigt wird. Aber darüber hinausgehende eigene Erfahrungen hatte ich zu dem Thema selbst keine.



    Deshalb habe ich im Januar mit entsprechenden Versuchen an einer nutzlos herumliegenden "105Ah LiitoKala"-LiFePO4-Zelle (die aber tatsächlich nur knapp 80Ah Kapazität aufwies) aus einem größerem Haufen gleich nutzloser 80Ah-Zellen begonnen.


    Schönen Dank auch an Aliexpress... :cursing:


    Als Tester hab ich meinen Kapazitätstester EBC-A40L genommen, der kam mir hier genau recht, zusammen mit einem alten Asus-Notebook mit Intel Atom-Prozessörchen, mit dem man heute sonst nicht mehr viel anfangen kann. Braucht sehr wenig Strom bei Dauermessungen und ist daher genau das richtige für energieintensive Kapazitätstests, die mit dem teuren Netzstrom nur die Umgebungsluft erhitzen.



    Leider ist es diesen Winter in Deutschland relativ warm, so dass man bei Temperaturen zwischen -4 und +10°C kaum von richtigen "Kaltladungs"-Zyklen sprechen kann. Hier ein paar Messdiagramme, die ich mit dieser Zelle aufgenommen habe.


    Der erste Versuch mit 40A Lade- und 40A Entladestrom musste scheitern, weil sich die Zelle bei einem Dauerstrom von 40A, was immerhin 0,5C entspricht, so deutlich aufheizte, dass man beim besten Willen nicht mehr von "Kaltladungen" sprechen konnte.


    Zellentemperatur 8,7°C bei 40A-Ladestrom und 3°C Umgebungstemperatur, gemessen im Abluftstrom des Kapazitätstesters (der allerdings nur minimal wärmer ist als die Umgebungstemperatur) zur Zellenkühlung.


    Daraufhin habe ich die Lade- und Entladerate auf 0,1C vermindert, also auf 8A. Damit ergab sich dann die folgende Zellentemperatur:



    Schon besser: Nur noch 3,5°C Zellentemperatur.


    Hier das Zyklendiagramm des Testers:



    Da diese fünf Komplettzyklen immerhin schon fast viereinhalb Tage dauerten und die Temperaturen dabei nur um den Gefrierpunkt oder knapp darüber schwankten, kann man hier auch noch nicht wirklich von Kaltladungen sprechen. Die jeweils bei Entladung bis 2,5V entnommenen Kapazitäten waren:


    1. 79,23Ah,

    2. 79,14Ah (-0,114%),

    3. 79,08Ah (-0,068%),

    4. 79,04Ah (-0,051%) und

    5. 79,00Ah (-0,051%)


    Man erkennt hier immerhin die plausible Tendenz eines Kapazitätsverlusts. Ein Teil davon ist natürlich auf die ganz normale Kapazitätsabnahme bei voller Zyklisierung von 3,65V bis hinunter auf 2,5V zurückzuführen und nur der andere Teil auf Degradation durch Kaltladung. Allerdings ist ein Kapazitätsverlust von durchschnittlich 0,07% pro Vollzyklus eher unspektakulär. Da kann man ja problemlos viele Hundert Vollzyklen fahren, ohne sich erste Sorgen um seine Batterien zu machen.


    Daraufhin habe ich Lade- und Entladestrom auf 1A(!) gesenkt und noch mal 5 Vollzyklen durchlaufen lassen:



    Nach viereinhalb Vollzyklen und gut einem Monat(!) Messdauer hatte sich dann der Notebook irgendwie aufgehängt (Bildschirm schwarz :motz:), so dass ich nur die ersten vier Vollzyklen reproduzieren kann:


    1. 79,70Ah,

    2. 79,64Ah (- 0,075%)

    3. 79,66Ah (+ 0,025%)

    4. 79,63Ah (- 0,038%)


    Die gemessene Kapazitätszunahme des dritten Zyklus lag an der zwischenzeitlich gestiegenen Umgebungstemperatur. Womit man feststellen muss, dass solche Messungen unter Bedingungen ungeheizter Lagerräume nur begrenzt aussagekräftig sind. Man erkennt bei der Messung mit 1A Messstrom im Vergleich zur Messung mit 8A übrigens einen gewissen Kapazitätsgewinn. Das war aber zu erwarten.


    Wenn sich die Folgen von LiFePO4-Kaltladung unter winterlichen Bedingungen in Deutschland nicht wirklich gut an der Umgebungsluft demonstrieren lassen, muss man eben technisch runterkühlen! Also habe ich das Eisfach des Zweit-Kühlschranks leer geräumt, das Ding auf volle Leistung gedreht und die arme 80Ah-LiFePO4-Zelle oben ins Eisfach gelegt. :evil: Das sah dann so aus:


    Der Rest kam natürlich auch noch raus, sonst wäre alles kaputtgefroren.


    Nächstes Problem: Wie kriegt man dicke 6mm²-Kabel + Sensorleitungen so durch die Kühlschrankdichtung und des Gefrierfachdeckel, dass kein Durchzug entsteht? Naja, durch Verwendung spezieller Kabel. Also erst mal die Messkabel "gepimpt". Im Betrieb wurden die bei 40A dann aber etwas wärmer:


     

    Kühlschrank mit Heizung...


    Das war aber zum Glück eher kein Problem, denn der kleine Kühlschrank kühlte ordentlich runter. Jedenfalls das Kühlfach. So dachte ich mir das. Dann habe ich das 40A-Zyklenprogramm aufgerufen und war gespannt, was passieren würde.



    Das Ergebnis waren diese "Rollercoaster"-Graphen. Nanu?:/


    Des Rätsels Lösung war, dass die Temperatur im Eisfach zwischen -7 und -30°C schwankte. Der Kühlschrank-Thermostat befindet sich ja nicht im Eisfach, sondern in tiefere Gefilden des Kühlschranks, so dass dort die Temperatur gemessen wurde. Entsprechend stark schwankt die Temperatur im Eisfach. Muss man ja auch erst mal drauf kommen...


    Nächstes Problem war, man erkennt es, wenn man die Graphen anschaut: Nach der ersten Ladung bei 40A brach der Ladestrom immer schon nach kurzer Zeit nach Ladebeginn zusammen. Beim ersten Ladeversuch war die Zelle noch nicht voll heruntergekühlt und die 40A Ladestrom heizten sie dann sehr deutlich auf, so dass die 40A Ladestrom weiterflossen. Nach der Entladephase mit nur 10A war die Zelle aber kalt, sodass der Ladestrom nach sehr kurzer 40A-Ladephaser schnell auf deutlich unter 10A abfiel. :( Klar: Bei Kälte geht alles deutlich langsamer.



    So sah das Ganze am Ende aus. Immer wenn die Temperatur zu Beginn der 40A-Ladephase im Eisfach wegen der unvollkommenen Thermostatregelung gerade mal im einstelligen Minusbereich lag, floss ein höherer Ladestrom und die 40A brachten die Zellentemperatur hoch, so dass das Eisfach sie nicht stärker runterkühlen konnte. Dann flossen 40A fast bis zum Ende der Ladung. Lag die Zellentemperatur zu Beginn aber deutlich tiefer, brach der Ladestrom immer schnell auf Werte um 4A zusammen. Kaltladung mit hohem Strom ist also bei -20°C Zellentemperatur schon aus rein physikalischen Gründen gar nicht möglich, jedenfalls wenn man die Ladespannung nicht deutlich erhöht. Damit war dieser Kältetest dann fürs erste beendet und alles zog wieder ins Batterielager um.


    Die Zelle hatte nach der Kaltladung übrigens einen ordentlichen Bauch bekommen: Statt der ursprünglichen Dicke von 37mm war sie 45mm dick geworden.


    Nun ging es um die Frage, wie es um die Zellengesundheit nach den Kaltladungen bestellt war. Dafür wurde ein Zyklenprogramm mit Lade- und Entladestrom von 8A, also 0,1C, verwendet.



    Das Ergebnis:

    1. 59,15Ah

    2. 59,40Ah (+ 0,42%)

    3. 59,56Ah (+ 0,27%)

    4. 59,68Ah (+ 0,20%)

    5. 59,81Ah (+ 0,22%)


    Die Zellenkapazität hatte sich also gegenüber dem Zustand vor der Kaltladeorgie kräftig vermindert, nämlich um ca. 25%: Statt knapp 80Ah waren jetzt nur noch knapp 60Ah speicherbar. Man wird also akzeptieren müssen, dass die Ladung von LiFePO4-Zellen bei unter -10°C Zellentemperatur nicht wirklich ratsam ist, wenn man nicht einen starken Kapazitätsabfall riskieren möchte. Allerdings war auch feststellbar, dass die Kapazität im Gegensatz zu den oben gezeigten Zyklendiagrammen nun mit jedem Zyklus zunahm. Das war nach der Theorie aber auch zu erwarten, da bei der Entladung bei Normaltemperatur ein Teil der Lithium-Ablagerungen wieder in Lösung geht und in den Arbeitsprozess zurückgeführt werden kann. Die Zelle legt durch normale Zyklisierung also wieder an Kapazität zu. Die Geschwindigkeit mit der das geschieht, liegt knapp bei der zehnfachen Geschwindigkeit der vorherigen Degradation durch die Zyklisierung bei Temperaturen knapp über 0°C. Allerdings ist zu erwarten, dass dieser Effekt sich nach einer Weile verlangsamt, um dann irgendwann zum Stillstand zu kommen. Danach wird die Degradation durch normale Zyklisierung dann wieder überwiegen.



    Hier nun noch eine Reihe abschließender Testzyklen mit 40A Lade- und 40A Entladestrom:


    1. 58,60Ah

    2. 58,58Ah (- 0,034%)

    3. 58,56Ah (- 0,034%)

    4. 58,32Ah (- 0,410%)

    5. 58,25Ah (- 0,120%)

    Es ist nachts wieder deutlich kälter geworden als am Tage zuvor, was den (vermutlich nur temporären) Kapazitätsverlust der Zyklen 4 und 5 gegenüber 2 und 3 begründen könnte. Es kann aber natürlich auch andere Gründe haben. Der Kapazitätsverlust aufgrund der Kaltladungen scheint jedenfalls irreversibel zu sein.


    Grüße, Tom

  • Ich bin darauf hingewiesen worden, dass man bei all den Bildern und Daten doch gern ein Fazit am Ende des Berichts vorgefunden hätte. Ja, stimmt, sowas mag ich auch. Also bitteschön!


    Fazit:


    In unseren Breiten geht aus hauptsächlich um den Temperaturbereich zwischen -10 und +40°C, mit Schwerpunkt zwischen 0 und 25°C. Betrachtet man die Degradation bei Ladung um den Gefrierpunkt, ist die Abnahme der Zellenkapazität noch minimal, so lange man mit dem Ladestrom nicht gerade Vollgas gibt. Das liegt einerseits daran, dass bei 0°C selbst bei mittleren Ladeströmen um 0,5C noch nicht viel Lithium abgeschieden wird, so dass die Degradation an sich noch gering bleibt und sich andererseits die Zellen bei niedrigen Temperaturen und höheren Ladeströmen wegen ihres bei Kälte stark erhöhten Innenwiderstands schnell selbst aufheizen und so aus dem ungünstigen Kältebereich herausheben.


    Erst bei Temperaturen unterhalb -10°C, die bei uns inzwischen (Klimawandel?) kaum noch vorkommen, könnte es kritisch werden, wenn man sofort volle Pulle lädt. Wer öfter unter solchen Bedingungen seine Akkuzellen laden muss, sollte entweder Heizvorrichtungen verwenden, oder, wenn das nicht möglich ist (z.B. bei Solarpanelen geringer Leistung, mit denen die Batterie geladen werden soll), den Ladestrom klein halten, also maximal noch mit 0,01C Laden. In diesem Bereich halte ich die auftretende Degradation für vertretbar. Netterweise kommt es uns entgegen, dass im Winter meist ohnehin nicht so viel Solarleistung zu Verfügung steht und wenn doch, dann meistens nur an wenigen Tagen im Winter, so dass es noch nicht zwingend zu Problemen kommen muss. Ein gewisser Verlust an Kapazität und Lebensdauer wäre dabei m.E. zu vernachlässigen.

    Bei Hochleistungsanwendungen wie z.B. im Elektroauto kommt man jedoch nicht um ein aufwändiges Thermo-Management herum, weil die gefahrenen Leistungen einfach zu hoch sind und die Degradation entsprechend größer ausfallen würde. Zudem sind die im Elektroauto verwendeten Batterien groß und teuer. Aber da hier die Hersteller ohnehin entsprechende technische Maßnahmen eingebaut haben, brauchen wir uns mit diesem Thema nicht wirklich zu beschäftigen, wenn wir nicht gerade einen ursprünglich bleigetriebenen City EL auf LiFePO4 umrüsten wollen. Wer solches vorhat, wird aber auch das Kaltladungsproblem irgendwie in den Griff bekommen. Wenn er denn Winters lädt und fährt.


    Grüße, Tom

  • Sehr schön. Dankefein.
    Ich hatte schon bedenken meine 8 230AH EVE-Zellen im Winter mit den "manchmal" vorkommenen 800W, also sagen wir mal 30A, um den Gefrierpunkt zu laden... oder die möglichen 550W zu entnehmen.
    War schon beim Gedanken eine Heizung einzubauen :D
    Hat sich dann ja erst mal erledigt, denke ich

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